Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
Rainer Maria Rilke (1875 – 1926), in: Buch der Bilder
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Im Alter von 90 Jahren starb im Jahr 2008 der amerikanische Mathematiker und Meteorologe Edward Lorenz.
Er entdeckte 1963, dass innerhalb einer komplexen Rechnung bereits eine kleine Veränderung einer kleinen Zahl zu völlig anderen Ergebnissen führt.
Kleine Ursache, große Wirkung.
Er verwendete zur Erklärung dieser Erkenntnis das Beispiel des „Schmetterlingseffekts“.
Sagt aus: Ein Schmetterling, der in Shanghai mit seinen Flügeln wackelt, kann theoretisch in New York für einen Wirbelsturm sorgen.
Heißt für die Meteorologie,
dass das Wetter oft durch geringe Einflüsse global und kurzfristig Änderungen erfährt. Wetter ist und bleibt chaotisch (seine Theorie heißt daher auch „Chaostheorie“).
Heißt für das Leben,
dass langfristige Aussagen über die Zukunft nicht möglich sind.
Heißt für uns Menschen – vereinfacht gesprochen –,
dass schon kleine Ereignisse eine ganze Lebenswelt durcheinander werfen können,
dass schon winzige Veränderungen große Auswirkungen nach sich ziehen können,
dass wir eigentlich unser Leben nicht wirklich im Griff haben.
Und nun?
Wie sollen wir mit einer solchen Erkenntnis leben?
Was könnte helfen?
Die letzten vier Zeilen aus dem bekannten Herbst-Gedicht von Rainer Maria Rilke weisen eine Richtung:
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.
„Es ist in allen.“
Keiner hat sein Leben in der Hand.
Keiner kann seine Unversehrtheit garantieren.
Keiner kann für seine Standhaftigkeit geradestehen.
Keiner kann seine Sicherheit versichern.
Rilke weist deshalb darauf hin, dass „Einer uns unendlich sanft in seinen Händen hält“.
Gott!
Wir haben unser Leben nicht in der Hand – aber wir sind in Gottes Hand … im Leben und im Tod.
Konsequent durchbuchstabiert bleiben trotzdem viele Fragen offen, bzw. Antworten unbefriedigend.
Schwer zu begreifen. Schwer zu beweisen. Schwer zu bezeugen.
Schwer zu glauben.
Und doch glaube ich das.
Und mit mir Millionen Menschen auf diesem unsicheren Planeten.


