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HIMMELS:TRÄGER

Photo by Matt Brown on Unsplash

Ich trage den Himmel mit meinen Beinen.
Wenn ich sie zu mir zöge, so würd der Himmel herabfallen.

Johannes Pauli (1455 bis 1530), in „Schimpf und Ernst“

Im 16. Jahrhundert verfasste Johannes Pauli das Buch „Schimpf und Ernst“ mit nachdankenswerten Fabeln. Eine Geschichte hat es mir angetan – alte Sprache, aktuelles Thema:
„Es ist ein Vogel, der heißt Sankt-Martinsvogel, der lag auf dem Rücken und streckte beide Bein gegen den Himmel und wollt sie nicht zurückziehen. Es kam ein ander Vogel zu ihm und sprach: „Was liegst du also da? Warum ziehest du die Bein nicht zu dir?“ Der erste Vogel sprach: „Ich trage den Himmel mit meinen Beinen. Wenn ich sie zu mir zöge, so würd der Himmel herabfallen.“ Als er lange also gelegen war, da fiel ein Blatt von einem Eichbaum herunter. Der Vogel erschrak sehr und flog davon, und der Himmel fiel dennoch nicht auf ihn.“

So denken des öfteren Menschen über sich – ich eingeschlossen. Wir bilden uns ein, ohne uns würde alles zusammenbrechen.
Die Erfahrung zeigt allerdings:
Der Himmel stürzt nicht ein, die Welt geht nicht unter, der Betrieb bricht nicht zusammen,
wenn ich nicht alles trage,
wenn ich Fehler mache,
wenn ich mich zurückziehe,
wenn ich krank werde,
wenn ich mich lächerlich mache.

Der Mittelpunkt der Welt ist nicht dort, wo ich mich gerade aufhalte.
Es gibt unzählige Menschen um mich, die nicht weniger wichtig, liebenswert, bedeutungsvoll sind.
Folgendes sage ich mir deshalb immer wieder:
Ich muss nicht immer bedeutsamer werden,
nicht die Welt retten,
nicht den Himmel stützen,
nicht der Mittelpunkt des Lebens sein.
Ich muss nicht Gott sein.
Ich bin entbehrlich.
Wie befreiend ist das!

Und noch ein anderer Aspekt von unrealistischer Selbstwahrnehmung:
Weil wir uns manchmal so maßlos überschätzen, verlieren wir unsere Mitmenschen aus dem Blick – und die Tatsache, dass nicht alles auf unsere Leistung zurückzuführen ist, sondern dass uns in den meisten gelungenen Aktionen der Weg gebahnt wurde.
Das weiß auch Dietrich Bonhoeffer, wenn er sagt:
Man überschätzt wohl leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere geworden ist.“ (aus: Widerstand und Ergebung)

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