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NICHTS:LIEBE

„Du sollst das Nichts lieben.“
Mechthild von Magdeburg (um 1207 bis 1282), aus: Ulrike Voigt, Du rührst die Saiten meiner Seele, Präsenz Medien & Verlag 2010, S. 43

Diese Aufforderung von Mechthild von Magdeburg ist der Beginn einer Aufzählung von Verhaltensweisen, die sie für „Wüstenzeiten des Lebens“ empfiehlt.

Seit Jahrhunderten denken Philosophen über den Begriff „Nichts“ nach.
Grob gesprochen beschreibt die Philosophie das Nichts als eine „Leerheit“, die aber – und das mag uns erstaunen – immer Potential in sich trägt. Ein Frei-Raum, in dem etwas entstehen kann.
„Nichts“ ist immer …
noch ungenützte Chance,
noch vernachlässigte Gelegenheit,
noch nicht erreichte Möglichkeit.
Das Nichts trägt in sich ein Drängen zur Veränderung, Energie zur Verwandlung.
Deshalb bezeichnet der Hegel-Experte John O’Donohue das Nichts als „Schwester der Möglichkeit“ (in: Anam Cara, dtv Verlagsgesellschaft, 2010, S.243)

Das kommt den Aussagen der Bibel schon sehr nahe.
Sie beschreibt, „dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist“ (Hebräer 11,3).
Sie sagt über Gott, dass er das, „was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Römer 4,17).
Aus jedem „Nichts“ kann etwas entstehen.
Leere kann gefüllt werden.
Veränderung kann beginnen.
Neues kann wachsen.
Verletztes kann heilen.

In diesem Zusammenhang noch eine Entdeckung aus der Bibel:
Auf der ersten Seite der Bibel wird beschrieben, dass alles „wüst und leer“ war … ein „Nichts“, eine „Leere“.
Das hört sich hoffnungslos an … bis ein Satz später erwähnt wird, dass „über den Wassern der Geist Gottes schwebte“. Damit beginnt ein neues Kapitel – das erste Kapitel der Schöpfung. Wo sich „Leere“ ausbreitet, ist Gott nicht weit weg – mit seiner ganz eigenen, unverfügbaren Schöpfungskraft.
Hier hören wir zum ersten Mal die seither vielerlebte Wahrheit:
„Das Nichts ist der Nährboden einer neuen Schöpfung Gottes“ – anders ausgedrückt:
„Leere hat immer genügend Raum für die Möglichkeiten Gottes“.

Mich entlastet das!
Wenn ich keine Kraft mehr spüre, kann ich auf die Energie Gottes hoffen.
Wenn ich mein Herz wegen mangelnder Achtsamkeit leergeräumt habe, kann ich wieder neu anfangen.
Wenn ich keinen Einfluss mehr habe, kann das eine Gelegenheit für andere sein.
Wenn ich alles verloren habe, muss ich dennoch die Hoffnung nicht verlieren.
Wenn ich Leere verkraften muss, kann sie mit noch nie Erlebtem gefüllt werden.
Wenn meine Träume zerbrochen sind, kann Neues aufwachsen.
Alles kann eine Möglichkeit Gottes werden.

Ich kann mir denken, dass Mechthild von Magdeburg uns aus diesem Grund dazu auffordert, das Nichts zu lieben.

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