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Ein Pilger, der lange unterwegs ist, hat neun Aufgaben:
Hadewijch von Antwerpen (ca. 1200 – 1248)
Die erste besteht darin, dass er nach dem Weg fragt.
Die zweite, dass er sich gute Reisegefährten sucht.
Die dritte, dass er sich vor Dieben hütet.
Die vierte, dass er sich vor Unmäßigkeit beim Essen in Acht nimmt.
Die fünfte, dass er seine Kleider schürzt und sich fest gürtet.
Die sechste besteht darin, dass er sich, wenn er bergauf geht, tief vornüberbeugt.
Die siebte, dass er beim Abstieg vom Berg dann aufrecht geht.
Die achte, dass er nach dem Gebet guter Menschen verlangt.
Die neunte, dass er gerne über Gott spricht.
Ebenso verhält es sich auch mit unserer Wallfahrt zu Gott, auf der wir durch vollkommene Taten der Liebe das Reich Gottes zu erreichen suchen und auf seine Gerechtigkeit aus sein sollen.
Am vergangenen Wochenende war ich gemeinsam mit anderen zwei Tage pilgern – auf dem Ulrikaweg in der Bodenseeregion.
Pilgern ist: sich mit Gott auf den Weg machen, zur Ruhe kommen, Einkehr halten, beten … und Gott suchen in allem Gehen, Reden, Hören und Sehen.
Für viele Menschen mag Pilgern fremd sein, doch manche haben auf ihrem Pilger:Weg schon einen Weg zu Gott gefunden.
Hadewijch, die niederländische Dichterin und Mystikerin, vergleicht den Pilger:Weg mit dem Weg zu Gott. Sie nimmt die Aufgaben des Pilgers, der Pilgerin als Vorgabe für unseren Lebensweg.
Schauen wir uns das etwas näher an.
Die erste Aufgabe: „Nach dem Weg fragen“
Wir brauchen lebenslang Menschen, die uns helfen, den richtigen Weg zu finden. Zu oft verrennen wir uns oder verlaufen uns. Wir bleiben immer Lernende, Bedürftige, Fragende. Diese suchende Haltung bewahrt uns – vor Überheblichkeit, Besserwisserei und falscher Selbstsicherheit.
Die zweite Aufgabe: „Gute Reisegefährten suchen“
Wir bleiben lebenslang nicht allein. Immer begleiten uns Menschen – leider nicht immer nur diejenigen, die uns gut sind und gut tun. Der Tipp von Hadewijch: bleib auf der Suche nach guten Weggefährten.
Die dritte Aufgabe: „Sich vor Dieben hüten“
Leider laufen wir zu oft mit oder hinter Menschen, die uns den Willen rauben, Zeit rauben, Möglichkeiten rauben, Hoffnung rauben, Selbstvertrauen rauben, Frieden rauben – wodurch auch immer. Sei auf der Hut vor ihnen.
Die vierte Aufgabe: „Sich vor Unmäßigkeit beim Essen in Acht nehmen“
Achte darauf, was du zu dir nimmst – und hüte dich vor Maßlosigkeit. Denn die Begleiterscheinungen eines maßlosen Handelns sind Vernachlässigung, Abstumpfung, Unwohlsein, Unausgeglichenheit und Verletzung.
Die fünfte Aufgabe: „Die Kleider schürzen und sich fest gürten“
Heißt: Vermeide Stolperfallen. Tu, was dir möglich ist, um ungehindert weiterzukommen. Schau, was du an dir hast. Falle nicht über deine eigene Nachlässigkeit.
Die sechste Aufgabe: „Sich tief vornüberbeugen, wenn es es bergauf geht“
Was für ein Bild! Berge sind ein Bild für erfolgreichen Zeiten, für gelungene Wege, für geglückte Entwicklungen. Schnell sind wir in Gefahr, hochmütig zu werden, Macht auszuschöpfen, Erfolge zu beanspruchen.
Hadewijch empfiehlt eine demütige Haltung.
Die siebte Aufgabe: „Bei Abstieg vom Berg aufrecht gehen“
Und wenn es ab und zu ins „Tal“ geht,
wenn nicht mehr alles glatt läuft,
wenn wir der Dunkelheit näher kommen,
wenn Gelingen ausbleibt –
dann sollen wir aufrecht gehen, Rückgrat zeigen, den Blick heben.
Die achte Aufgabe: „Nach dem Gebet guter Menschen verlangen“
Auf unserem Lebensweg sind wir ständig in Gefahr, alles nur selbst zu tun. Wir vergessen zu oft, wie wichtig die Fürsprache und Fürbitte anderer Menschen ist. Wenn du Menschen kennst, die beten können – bitte sie, das auch für dich zu tun.
Die neunte Aufgabe: „Gern über Gott sprechen“
Wir sprechen gerne über Dinge, die uns erfüllen, faszinieren und bewegen. Und über Gott?
Wenn er dich erfüllt, fasziniert und bewegt – lass davon hören.
Was für heilsame Hilfen für unseren Lebensweg!
Hadewijch weiß: Es ist noch ein weiter Weg bis in den Himmel. Wir sind noch am „Pilgern“.
Also sollten wir nicht gedankenlos drauflos laufen, sondern unser Augenmerk auf
Haltung,
Begleiter,
Worte,
Gesprächspartner und -inhalte richten.


