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STERBE:CREDO

Wenn es zum Sterben geht, möchte ich selbst sagen können:
Ich habe die Sterne gesucht und den Menschen nebenan.
Ich habe das Glück gesucht und das Unglück nicht verachtet.
Ich habe die Gerechtigkeit gesucht und bin unter der Ungerechtigkeit nicht bitter geworden.
Ich habe die Liebe gesucht und bin ihr auch begegnet.
Ich habe die Weisheit gesucht und habe ihren Saum gesehen.
Ich habe Gott gesucht, und er hat mich gefunden.
Wenn es zum Sterben geht, möchte ich sagen können: Ich habe dieses Leben geliebt – trotz allem, was nicht hell, sondern dunkel war.
Uwe Böschemeyer, Aussöhnung mit uns selbst und dem unvollkommenen Leben, Kneipp-Verlag, Wien, 2023, S. 114

Diese Sätze habe ich Ende vergangenen Jahres entdeckt …
Sie haben mich zum Tieferdenken angeregt.
Und nun wage ich zu behaupten:
Die Frage „Was will ich im Rückblick sagen können?“
ist so viel umfassender und intensiver als die Frage „Welche Ziele will ich im Vorausblick formulieren?“.
Vielleicht muss ich mir diese Frageart angewöhnen – vor allem, wenn es um Grundentscheidungen meines Lebens geht.

Ich weiß seit langem: von Zeit zu Zeit muss ich mir bewusst machen, was ich wirklich suchen will.
Denn welche Richtung ich anvisiere und wofür ich mich grundlegend entscheide, bildet die Grundlage für alles,
was ich denke und tue,
wovon ich träume und rede,
was ich festhalte und verwirkliche.
Damit stehe ich fester.
Damit lebe ich klarer.
Damit rede ich bedachter.
Damit entscheide ich geradliniger.

Der Theologe und Psychologe Uwe Böschemeyer nennt seine, ich finde, sehr klugen Grundenscheidungen, die allesamt mit dem „Suchen“ zu tun haben:
„Die Sterne suchen und den Menschen nebenan.“
„Glück suchen und das Unglück nicht verachten.“
„Gerechtigkeit suchen und unter der Ungerechtigkeit nicht bitter werden.“
„Liebe suchen und ihr auch begegnen.“
„Weisheit suchen und ihren Saum sehen.“

Vor jeden dieser Sätze könnte man die zwei Worte setzen „Ich will …“. Das sind Grundentscheidungen seines Lebens.
Und das alles atmet eine so tiefe Sehnsucht und so viel Lebensweisheit!

Der für mich schönste und auch geheimnisvollste Satz, der auch die Symmetrie der vorigen Sätze unterbricht, ist eher ein Bekenntnis:
„Ich habe Gott gesucht, und er hat mich gefunden.“
Dahinter steckt die Erfahrung, dass wir – was unsern Glauben und unsere Gebete betrifft – im Nachhinein meist den Eindruck haben, dass er uns gefunden hat. Wir suchten ihn, er fand uns.
Das ist auch meine Erfahrung.

Und nun:
Was wäre dein „Sterbe:Credo“? Was willst du am Ende deines Lebens sagen können?
Vielleicht findest du ja beim Nachdenken darüber eine neue Gelassenheit für das neu begonnene Jahr …

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