Glaubens:Leben

WAHRHEITS:ZWEIFEL

Ich fühlte, dass ich, nachdem ich mir so viele Jahre hindurch immer nur gesagt hatte „Vielleicht ist das alles nicht wahr“, nun nicht etwa aufhören sollte, mir dies zu sagen – ich befleißige mich, es mir auch jetzt noch sehr oft zu sagen –, sondern dieser Formel die entgegengesetzte Formel: „Vielleicht ist das alles wahr“ hinzufügen und beide miteinander abwechseln lassen sollte.

Simone Weil, in: Aufmerksamkeit für das Alltägliche, Kösel Verlag München 1994, S. 128

Der positive Zweifel hat zwei Stimmen.
Die eine sagt: „Vielleicht ist es nicht wahr“, die andere spricht „Vielleicht ist es wahr“.
Die eine geht vom Negativen aus, die andere vom Positiven.
Die eine proklamiert die Illusion, die andere wurzelt in der Wahrheit.
Zwei Denkvoraussetzungen. Simone Weil empfiehlt beide – abwechselnd.
Beide Stimmen verbindet das Wort „vielleicht“.
Keine Festlegung, sondern irgendwie ein Zustand
zwischen Unsicherheit und Suche,
zwischen Pessimismus und Optimismus,
zwischen Skepsis und Hoffnung.
Wie aber passt das „Vielleicht“ zum christlichen Glauben? Ist im Glauben überhaupt Raum für ein „Vielleicht“?

Kürzlich hab ich dazu bei Martin Buber in seinem Buch „Die Erzählungen der Chassidim“ (Manesse Verlag Zürich 1949, S. 364) folgende eindrückliche Geschichte gelesen:
Einer der Aufklärer, ein sehr gelehrter Mann, der vom Berditschewer gehört hatte, suchte ihn auf, um auch mit ihm, wie er‘s gewohnt war, zu disputieren und seine rückständigen Beweisgründe für die Wahrheit seines Glaubens zuschanden zu machen. Als er die Stube des Zaddiks betrat, sah er ihn mit einem Buch in der Hand in begeistertem Nachdenken auf und nieder gehen. Des Ankömmlings achtete er nicht. Schließlich blieb er stehen, sah in flüchtig an und sagte: „Vielleicht ist es aber wahr.“ Der Gelehrte nahm vergebens all sein Selbstgefühl zusammen – ihm schlotterten die Knie, so furchtbar war der Zaddik anzusehen, so furchtbar sein schlichter Spruch zu hören. Rabbi Levi Jizchak aber wandte sich ihm nun völlig zu und sprach ihn gelassen an: „Mein Sohn, die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst, drüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht. Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr.“ Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf; aber dieses furchtbare „Vielleicht“, das ihm da Mal um Mal entgegenklang, brach seinen Widerstand.

Vielleicht ist ja das „Vielleicht“ des Glaubens mächtiger als wir denken.
Deshalb warnt wohl Tomas Halik, der tschechische Priester und Soziologe, vor einer „stolzer Sicherheit“ und lobt das „demütige Vielleicht der Hoffnung“.
Hier weist er auf den Zusammenhang zwischen Glauben und Demut hin.
Denn wir können ja die Beziehung („Glaube“) zu einem allmächtigen Gott nicht ohne seine Unverfügbarkeit denken. Es bleibt immer ein Vielleicht, ein Rest-Geheimnis. Dieses Unverfügbare macht uns aber nicht schwach, sondern zeigt lediglich die Stärke unseres Beziehungspartners (Gott). Das wiederum führt unweigerlich zur Glaubens-Demut.
Kein Platz für „stolze Sicherheit“ … aber allemal Raum für ein starkes „Vielleicht“.

Deshalb: keine Angst vor einem „Vielleicht“!





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