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ALLGEMEIN:EINDRUCK

Die Lehre des Lebens heißt: verallgemeinern;
glauben, was die Jahre und Jahrhunderte sagen, und
nicht auf die Stunden hören;
dem Angriff der Einzeleindrücke widerstehen und
zu ihrem allgemeinen Sinn durchdringen.

Ralph Waldo Emerson, aus: Egon Friedell (Hg.), Emerson – Von der Schönheit des Guten, Diogenes Verlag Zürich 1992, S. 44

Das hört sich großmundig an: „Die Lehre des Lebens heißt“ –
Als ob man das für alle Menschen so allgemeingültig sagen könnte!
Doch je länger ich über diesen Satz nachdenke, merke ich: Ralph Waldo Emerson könnte recht haben.
Denn:
Wir verbauen uns so viel, wenn wir den „allgemeinen Sinn“ verlieren und uns fixieren.
Wir begrenzen uns so sehr, wenn wir nur auf die momentan Situation achten (das nennt Emerson „auf die Stunden hören“).
Wir erstarren, wenn die Wahrnehmungen und Emotionen des jeweiligen Moments auf uns einstürmen und uns lähmen (Emerson betitelt das mit „dem Angriff der Einzeleindrücke“).

Schauen wir uns das noch etwas näher und persönlicher an:
Es gibt immer mehr, als nur den Augenblick, die Minute, die Stunde.
Dein momentanes Befinden beschreibt nicht dein ganzes Leben –
dein ganzes Vor-Leben hat dich bereits geprägt, verändert, beschenkt.
Deine aktuelle Situation ist nicht die einzige Grundlage für dein Ergehen –
dein Wohlergehen schöpft auch aus den Brunnen der Vergangenheit.
Dein ganzes Leben zählt.
Mehr noch: es gilt auch, was schon Menschen vor dir erlebt haben.
Du lebst – unbewusst oder bewusst – auch aus den Quellen deiner Mütter und Väter … und immer aus den Quellen deines Schöpfers.

So allgemein muss man das sehen (Emerson würde es den „allgemeinen Sinn“ nennen).
Wenn wir das nämlich nicht tun, verhalten wir uns wie jemand, der nur vor seine Füße starrt –
und den Blick für die Weite des Lebens verpasst.

Die „Lehre des Lebens“ ist also:
Kurze Lebensabschnitte nicht überbewerten, sondern die großen Zeiträume deuten.
Nicht im Kleinteiligen hängen bleiben, sondern das Ganze sehen.
Einzeleindrücke nicht regieren lassen, sondern das große Bild beachten.
Den Moment in den Zusammenhang des ganzen Lebens stellen.
Die konkrete Situation nicht verherrlichen, sondern „verallgemeinern“.

Das ist mehr als nur „Lehre des Lebens“ – das ist die „Kunst des Lebens“.

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