In unserem Schauen liegt unser wahrstes Erwerben.
Wollte Gott, dass unsere Hände wären,
wie unsere Augen sind:
so bereit im Erfassen,
so hell im Halten,
so sorglos im Loslassen aller Dinge;
dann könnten wir wahrhaft reich werden.
Rainer Maria Rilke, Hiersein ist herrlich – 365 Tage mir Rilke, Insel-Verlag Berlin, 2013, 18.10.
Viel zu selten ist uns bewusst, welches Geschenk wir mit dem Sehvermögen haben.
Unser Auge ist ein komplexes Wunderwerke. Es nimmt auf … Formen, Farben und Bewegungen auf und leitet sie als Impulse durch den Sehnerv zum Gehirn.
Augen sind „Erfasser“, „Halter“ und „Loslasser“ – beschreibt Rainer Maria Rilke.
Sie nehmen auf, lagern ein – und geben wieder frei, sobald sie Neues wahrnehmen.
Soweit die Beobachtung Rilkes.
Viel wacher noch ist sein Wunsch:
„Wollte Gott, dass unsere Hände wäre, wie unsere Augen sind“.
Schauen wir uns diesen Vergleich etwas näher an …
Unsere Hände (er)fassen Dinge, halten fest und lassen los. Das tun sie. Das passt.
Rilkes Beobachtung scheint allerdings zu sein, dass das von unseren Händen oft nicht gelebt wird.
Unser Hände sind oft nicht bereit … oft nicht erhellend … oft nicht sorglos.
Sie zögern eher … verdunkeln eher … klammern eher.
Sie verhindern eher … vermeiden eher … beschlagnahmen eher.
Unsere Hände könnten viel lernen von den Augen – an Bereitschaft, Lichtkraft und Offenheit!
Vielleicht könnte man den Vergleich zwischen Augen und Händen ja noch auf andere Organe ausweiten …
Zum Beispiel auf die Ohren:
Auch sie erfassen, auch sie halten, auch sie lassen los.
Oder auf unser Denken:
Auch das nimmt auf, hält fest und lässt los.
Vielleicht wäre ja so unser ganzer Körper mehr präsent?!


