Foto von Kristina Flour auf Unsplash
Die Geheimnislosigkeit unseres modernen Lebens ist unser Verfall und unsere Armut. Ein menschliches Leben ist soviel wert, als es Respekt behält vor dem Geheimnis. […] Geheimnislos leben heißt, von dem Geheimnis in unserem eigenen Leben, von dem Geheimnis des anderen Menschen, von dem Geheimnis der Welt nichts wissen, heißt, an […] der Oberfläche bleiben. Heißt die Welt nur so weit ernstnehmen, als sie verrechnet und ausgenutzt werden kann. […] Geheimnislos leben heißt, die entscheidenden Vorgänge des Lebens gar nicht sehen oder sogar ableugnen.
Dietrich Bonhoeffer, London 1933-1935, DBW Band 13, Seite 359f
Es gibt unendlich viele Dinge in der Welt und in Lebensführungen, die wir nicht umfassend erklären können.
Manches trifft uns hart und bleibt bedrohlich im Dunkel.
Manches begegnet uns freundlich und lässt uns staunend zurück.
Geheimnisvolles Leben!
Und doch triggert jedes Geheimnis des Lebens in uns den Wunsch, es zu ergründen und zu lösen. Besonders bei schweren Lebensführungen und undurchdringbaren Wahrheiten fällt es uns schwer, mit Unerklärbarem zu leben.. Dann werden Geheimnisse fast untragbar.
Wir würden doch so gerne einordnen, warum alles so gekommen ist.
Wir würden so gerne verstehen, wie das Leben funktioniert.
Wir würden so gerne wissen, was auf uns zukommt.
So gerne würden wir alle Geheimnisse verstehen und lösen.
Und leider verdrängen viele deshalb das Unerklärbare, lösen jegliches Rätselhafte auf und akzeptieren nichts, was im Dunkeln bleibt. Eine der gefährlichen Tendenzen unserer Zeit ist es, dem Leben und dem Glauben das Geheimnis zu nehmen.
Unser Dasein, unser Forschen, unser Glauben muss in unseren Augen und in unserem Denken durchschaubar bleiben.
Und so leben wir schwer mit Dingen, die wir nicht bis ins Letzte erklären können.
Wir versuchen, es gedanklich zu durchgründen – und wenn wir es nicht schaffen, beginnen wir zu zweifeln.
Wir knabbern ungeduldig an jedem Geheimnis. So lange, bis wir auf den harten, undurchdringbaren Kern stoßen, der jedem Geheimnis eigen ist. Das gilt für Geheimnisse in Wegführungen, in Menschen und in Gott.
Mit all dem zeigen wir, dass wir Geheimnisse nicht mögen.
Deshalb verdrängen wir sie, überspielen sie und verneinen sie. Denn es ist so viel einfacher, Geheimnisse nicht zu beachten oder sie zu leugnen, als sie zu erleiden.
Genau das beobachtet und bewertet Dietrich Bonhoeffer:
„Die Geheimnislosigkeit unseres modernen Lebens ist unser Verfall und unsere Armut.“
Er begründet sein hartes Urteil mit der Erklärung, dass uns die Geheimnislosigkeit dazu führe, alles im Leben nur dann Ernstzunehmen, wenn es erklärbar und nutzbar sei.
Ich denke, er hat recht.
Denn wir sind umgeben von Geheimnissen:
Und wer sich ihnen nicht öffnet, verschließt sich dem Heiligen.
Wer nicht auf sie zugeht, weicht dem Ewigen aus.
Wer alles Unerklärbare verdrängt, verliert den Zugang zum Wunder.
Wer alles kontrollierbar braucht, distanziert sich vom unverfügbaren Gott.
Deshalb – so Bonhoeffer:
„Respekt vor dem Geheimnis“!


