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SCHWELLEN:LEBEN

Die Schwelle ist der Platz der Erwartung.
Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/6, 7. Buch, 9. Kapitel

Es ist Mitte September.
Viele Menschen befinden sich zur Zeit auf der Schwelle in einen neuen Lebensabschnitt.
Ein neuer Job, ein neues Schuljahr, ein neues Semester.
Schwellenzeiten sind besondere Zeiten – und wir durchleben sie lebenslang. Im Kleinen und im Großen.
Ob uns das bewusst ist oder nicht: wir alle wandern durch die Zeit – von einer Schwelle zur anderen. 
Die erste Schwelle unsere Lebens ist der Zeitpunkt, wenn wir nach der geborgenen Dunkelheit des Mutterleibes das Licht des Lebens erblicken. Von diesem Augenblick an finden die Schwellenerfahrungen unser Leben lang kein Ende. Wir überschreiten die Schwelle in den Kindergarten, in die Schule, in den Beruf, in die Rente … und am Ende die Schwelle in die Ewigkeit. Das ist das große Bild der Schwellen.

„Kleinteiliger“ gedacht gilt aber auch:
Wir treten jeden Morgen über die Schwelle eines neuen Tages … und jeden Abend über die Schwelle einer neuen Nacht.
Den Tag über müssen wir Entscheidungen treffen, 
Schritte gehen, 
Möglichkeiten finden,
über uns hinausgehen,
auf Menschen zugehen. 
Wir treten bildlich gesprochen mit jeder Begegnung und in jeder kleinen Entscheidung an Türen heran, über deren Schwelle wir gehen müssen. 
Und nicht selten sind die Schwellenzeiten unseres Lebens bedrohlich, denn wir wissen noch nicht, was uns erwartet, wenn wir die nächsten Schritte gehen. Es ist noch nicht raus, wie sich alles entwickeln wird und ob alles gutgehen wird. Wir wissen nur, dass es uns irgendwann wieder an eine weitere Schwelle führt …
Dann schauen wir gerne sehnsüchtig zurück … und leider nicht nur erwartungsvoll nach vorne. 
Diese Zeiten gefallen uns in der Regel nicht … um nicht zu sagen: sie stören uns gewaltig.

Halten wir erstmal fest:
Jeden Tag, den wir leben, befinden wir uns auf Schwellen. 
Altes vergeht, Neues beginnt.
Wir lassen zurück, wir gehen vorwärts.
Wir verabschieden die Vergangenheit, wir erwarten die Zukunft.
Unser Leben ist also wesentlich ein „Schwellen:Leben“.

Daraus schließe ich:
Unsere Aufgabe ist, unsere Schwellen leben zu lernen – und anderen zu helfen, wiederum ihre Schwellen zu meistern.

Zwei jeweils zweispurige Wege fallen mir dazu ein:
1. Geduld & Gegenwart.
Wir selbst brauchen Geduld auf den Schwellen des Lebens. Denn wir müssen warten, bis die Tür sich öffnet und der Weg frei ist. Das geschieht leider nicht immer zu den Zeitpunkten, die wir uns wünschen würden.
Und wir helfen anderen über die Schwellen ihres Lebens, indem wir ihnen unsere Gegenwart schenken.
Da sein. Beistehen. Mitgehen.
2. Mut & Ermutigung.
Das Risiko der nächsten Schritte fordert unseren Mut. Vor allem dann, wenn noch nicht abzusehen ist, welche Auswirkungen unser Weitergehen mit sich bringt.
Und wir helfen anderen über ihre Schwellen, indem wir sie ermutigen. Eines der schönsten Geschenke des Mensch-Seins ist das Geschenk der Ermutigung. Sie hilft beim Überstehen, beim Überbrücken, beim Überschreiten, beim Überwinden.

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